
„Klimaschutz versus Wirtschaft und Wettbewerb“ lautet das Thema des erbittert geführten Kampfes. Die Gegner im Ring heißen „EU Green Deal“ und die stetig an Macht und Stärke gewinnende „Konservative Mehrheit“.
Keine Frage, die EU-Kommission ist mit multiplen Krisen konfrontiert. Sie muss auch einen gewaltigen Spagat bewältigen - zwischen Hilfen für die angeschlagene Wirtschaft und dem Erreichen der selbst gesetzten, ehrgeizigen Klimaziele. Beides zusammenzudenken ist das erklärte Ziel. Es zeichnet sich jedoch schon länger ab, dass sich der Fokus verschiebt in Richtung Wirtschaft. Denn die EU-Wirtschaft strauchelt. Kombiniert mit riesigen bevorstehenden Verteidigungsausgaben und einem Investitionsstau bei der Infrastruktur, ist dies eine hochbrisante Melange. Auch die aggressivere Konkurrenz mit China und den USA verschärft den Handlungsdruck zusätzlich. Es scheint, dass es für der Krise entsprechenden Klimaschutz keine Zustimmung mehr gibt, und wir Rückschritte statt Fortschritte machen. Die berechtigte Sorge greift um sich, dass hart erkämpfte Sozial- und Klimastandards hinten runterfallen. Aber die große Mehrheit in Europa steht hinter dem neuen Kurs der EU-Kommission.
Das Scheitern war vorhersehbar
Denn sobald Nachhaltigkeit mit Wirtschaftsinteressen konkurrieren muss, gewinnt immer das Geld. In einer Welt in der es für Staaten ökonomisch sinnvoller ist (in Legislaturperioden gedacht) nicht oder nur zögerlich in Klimaschutz zu investieren bedeutet dies, zumindest kurzfristig, einen Kosten- bzw. Standortvorteil gegenüber anderen Ländern, und somit einen Vorsprung für die eigene Wirtschaft. Für Regierungen ist es daher innenpolitisch zweckmäßig Klimaschutzmaßnahmen nicht zu stark zu forcieren. Zum einen um die Konkurrenzfähigkeit der eigenen Wirtschaft nicht zu gefährden – vor allem im internationalen Kontext. Zum anderen um die Bürger, respektive die Wähler, nicht zu überfordern bzw. zu verlieren. Denn jede Regierung ist auch an Machterhalt und Wiederwahl interessiert, und Klimaschutz ist nur so lange mehrheitsfähig, solange er nicht zu sehr die persönliche Komfortzone der Menschen bzw. deren Portemonnaies betrifft.
Überdies will die Industrie keine zusätzlichen Regularien bzw. finanzielle Aufwände für die Defossilisierung ihrer Herstellungsprozesse. Einerseits aus Sorge vor dem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit und andererseits, weil ihr primäres Interesse Wachstum und Profit ist – nicht Klimaschutz.
Weiterhin können wir jedoch das Klimaziel nur erreichen, wenn unser Konsum weitestgehend klimaneutral produziert wird. Denn Appelle an Einschränkung und Verzicht sind unpopulär. Eine Reduzierung unseres derzeitigen, weitestgehend noch fossil basierten Konsumvolumens auf ein Maß, dass dem völkerrechtlich abgestimmten Emissionsminderungspfad entspräche, ist unrealistisch.
Die Situation ist daher folgende:
- Im EU-Parlament und in den Mitgliedsstaaten existiert eine große konservative Mehrheit. Dennoch will man die Klimaziele nicht komplett hinten runterfallen lassen. Grüne Technologien sind schließlich auch ein großes Wettbewerbsfeld. Die gesetzten Klimaziele bestehen also weiter, allerdings mit einem klaren Fokus auf die Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit. Ursula von der Leyen ruft daher den „Clean Industrial Deal“ aus.
- Die EU-Mitgliedsländer sind aufgefordert Steuern auf Energie zu verringern. Fragt sich wie dies grundsätzlich zu der Strategie passt, Emissionen anhand eines stetig steigenden CO2-Preises zu verteuern, bzw. die ETS-Zertifikate weiter zu verknappen, was deren Preise natürlich auch in die Höhe treibt. Ein widersprüchlicher Ansatz, sollte man meinen.
- Neben dem Lieferkettengesetz will die Kommission auch Vorgaben für die Nachhaltigkeitsberichtserstattung um zwei Jahre nach hinten verschieben und neu verhandeln – was immer das konkret heißen mag. Nach Kommissionsangaben sollen 80 Prozent der bislang betroffenen Unternehmen ausgenommen werden. Fun Fact am Rande: Einer aktuellen Umfrage zufolge sind rund drei Viertel der Unternehmen nicht oder nur teilweise dazu in der Lage, die tatsächlichen Emissionsdaten ihrer Lieferanten zu melden.
- Weiterhin soll auch der CO2-Grenzausgleich entschärft werden, indem ein Großteil der Unternehmen davon ausgenommen wird. Die EU-Kommission will also eines ihrer wichtigsten Klimaschutzinstrumente radikal entschärfen. 91 Prozent der Unternehmen, die derzeit vom CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) betroffen sind, sollen künftig von diesem EU-Gesetz ausgenommen werden. Den CO2-Grenzausgleich zahlen Importeure auf Stahl, Aluminium, Zement und Düngemittel aus dem außereuropäischen Ausland. Damit soll sichergestellt werden, dass europäische Hersteller nicht benachteiligt werden. Denn sie müssen für die Produktion CO2-intensiver Produkte Emissionsrechte kaufen. Der CO2-Grenzausgleich soll diesen Wettbewerbsnachteil ausgleichen und außereuropäische Produzenten dazu motivieren, ihre Emissionen zu senken. Grund für die Entschärfung des Gesetzes: Die bürokratische Belastung sei für die betroffenen Unternehmen hoch, der Nutzen aber nur gering.
- Zudem möchte die EVP die angeschlagene Autoindustrie bevorzugt behandeln und den Konzernen Strafen ersparen, wenn sie Klimaziele verfehlen. Bundeskanzler Olaf Scholz schloss sich dieser Forderung bereits beim EU-Gipfel im Dezember 2024 an; seiner Ansicht nach soll die EU-Kommission dafür Wege finden. Hintergrund: 2025 sinken die Flottengrenzwerte, die bestimmen, wie viel Kohlendioxid Neuwagen durchschnittlich höchstens ausstoßen dürfen. Kommende Woche will die Kommission Pläne für die Autoindustrie vorstellen. Und da könnten die CO2 Grenzwerte endgültig infrage gestellt werden – es bleibt spannend!
- Europas Christdemokraten rütteln außerdem grundsätzlich am beschlossenen faktischen Aus für Verbrennungsmotoren bei neuen Fahrzeugen ab 2035. Sie setzen darauf, dass „alternative Kraftstoffe“ klimaneutrales Fahren mit Verbrennungsmotoren ermöglichen. Die Europa-Grünen halten das für einen Irrweg, der Hersteller verunsichere. Ihr klimapolitischer Sprecher Michael Bloss befürchtet: "Die EVP stößt damit den Dominostein an, der am Ende den gesamten Green Deal zu Fall bringen kann."
- Auch die Debatte darüber, woher das Geld für Europas grünen Wandel kommen soll, wird weitergehen. Dafür braucht es Schätzungen zufolge jährlich Investitionen in dreistelliger Milliardenhöhe. Der Plan, dafür wie in der Corona-Pandemie gemeinsame Schulden aufzunehmen, bleibt heftig umstritten.
Dies sind alles sehr ernüchternde Entwicklungen in die ganz falsche Richtung. Die Prioritäten haben sich deutlich verschoben - Clean Industrial Deal statt Green Deal.
„Nicht mehr die Nachhaltigkeit
steht an erster Stelle,
sondern Wirtschaft und Wettbewerbsfähigkeit.“
Deshalb:
- Klimaschutz muss sozialverträglich gestaltet sein damit er eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz hat. Damit ist jedoch explizit nicht das Klimageld gemeint. Denn solange die Industrie noch nicht ausreichend klimafreundliche Konsum- und Mobilitätsalternativen bereitstellt, würde das ausgezahlte Klimageld wieder, zumindest zu einem großen Teil, für klimaschädlichen Konsum verwendet werden - ein klassisches Nullsummenspiel, das dem Klima kaum etwas bringt.
- Es sollte ein marktbasiertes System und ein wünschenswerter Wettbewerb um die besten Technologien forciert werden. Solche, die mit dem wenigsten Aufwand und mit den geringsten Kosten dazu in der Lage sind, die meiste Emissionsreduktion zu bewirken. Die bisher inflationär gebrauchte Vokabel "Technologieoffenheit" wird so mit echtem Inhalt gefüllt. Die Politik muss zwar sagen WAS gemacht werden soll, aber nicht WIE es gemacht werden soll.
- Ein solches System bietet nicht zuletzt auch Vorteile für unsere energiepolitische und wirtschaftliche Souveränität und Autonomie in Europa. Es würde unsere Bürokratie enorm verschlanken, da ein solches marktbasiertes Modell nahezu gänzlich ohne ordnungsrechtliche Impulse auskommt. Deregulation wird Realität - im positiven Sinne. Es ist ein Gewinn bezüglich Planbarkeit und Vorhersehbarkeit. Und dies nicht nur für Unternehmen, sondern auch für Verbraucher. Eine Industriestrategie, welche die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen gewährleisten kann.
Fazit
Die nächsten wenigen Jahre sind entscheidend. Wenn wir bereit sind Verantwortung zu übernehmen und aktiv zu handeln, können wir nicht nur Schäden begrenzen, sondern tatsächlich eine gerechtere, nachhaltigere und lebenswertere Welt erschaffen. Denn der Rechtsruck wird die Art und Weise, wie Europa Klimaschutz gestaltet, verändern und womöglich weiter verlangsamen.
Für einen Paradigmenwechsel braucht es Mut und Ehrlichkeit sich einzugestehen, dass der gegenwärtige Kurs nicht zum Ziel führt.
Eine mögliche Exit-Strategie
Die Einführung einer komplementären Kohlenstoff-Ressourcenwährung als CO2-Äquivalent würde alle genannten Ziele unterstützen:
- Dieses Instrument kommt gänzlich ohne zusätzliche ordnungsrechtliche Verteuerungen aus, was einkommensschwächere Haushalte nicht zusätzlich belastet, und auch dem zunehmenden Wettbewerbsdruck auf die Industrie entgegenwirkt.
- Ein solches Konzept unterstützt ganz maßgeblich die Forderung nach „Technologieoffenheit“ da keine kleinteiligen ordnungsrechtlichen Vorgaben oder Verbote nötig sind. Denn marktwirtschaftliche Mechanismen bewirken, ganz automatisch, dass sich die Technologien durchsetzen, die mit dem geringsten Aufwand und den wenigsten Kosten die meiste Emissionsreduktion bewirken.
- Gerade für Unternehmen könnte solch ein Ansatz von großer Bedeutung sein, denn sie müssten ihre SCOPE-Bilanzierungen nicht mehr selbst durchführen, sondern profitierten von der autonomen und interpretationsfreien CO2e-Bilanzierung durch die automatische Preisbildung einer solchen zusätzlichen Klimawährung. Dies baut Bürokratie signifikant ab. Unternehmen die bereits klimafreundlich agieren, erhalten überdies einen Wettbewerbsvorteil, und können sich so am Markt als nachhaltige und verantwortungsbewusste Akteure positionieren.
📢 Wie solch ein Modell einer komplementären Ressourcenwährung initial auf EU-Ebene umgesetzt werden könnte, beschreibt die NGO SaveClimate.Earth, eine Organisation für nachhaltige Ökonomie, mit dem emergenten Emissionsmanagementsystem ECO (Earth Carbon Obligation).